Macht Fett in der Ernährung dick?
Die Behauptung:
Die größte Gefahr von Übergewicht geht in der Ernährung von der Aufnahme von zu viel Fetten aus, weil Fette unter den wichtigen Bestandteilen der Lebensmittel (Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett) die größte Energiedichte besitzen. Deshalb: Wer schlank und vital werden oder bleiben will, sollte möglichst wenig Fett essen. Lebensmittel, die viel Fett enthalten, beispielsweise viele Wurstsorten, sollten deshalb weitgehend gemieden werden.
Die Fakten:
Es gibt in der Wissenschaft verschiedene Theorien dafür, wie Übergewicht entsteht. Neben genetischer Veranlagung und allgemeinen Lebensumständen wird häufig der Überschuss von Energiezufuhr zu Energieverbrauch angeführt. Anders ausgedrückt: Wer Ernährung und Bewegung nicht vernünftig zusammenbringt und mehr isst als er braucht, nimmt zu. 1
Es wirkt auf den ersten Blick einleuchtend: Ein Gramm Kohlenhydrate oder Eiweiß haben rund 4 kcal, ein Gramm Fett mehr als das Doppelte. Ergo: Wenn man Fett in der Ernährung reduziert, ist die Chance am größten, die Gefahr von Übergewicht zu bannen.
Ganz so einfach ist es aber nicht. Neben der Energiebilanz haben etliche andere Faktoren Einfluss darauf, wieviel Fett im Körper eingelagert wird, vor allem vergleichsweise komplizierte Stoffwechselprozesse. Zudem ist belegt, dass Fette weit besser sättigen als Kohlenhydrate. Im Idealfall wird deshalb bei etwas fetterer Nahrung weniger gegessen, in jedem Fall stellt sich jedoch deutlich später wieder ein Hungergefühl ein.2
Dieser Effekt liegt auch am Insulinspielgel, der deutlich ansteigt, wenn man vermehrt Zucker oder weiße Mehle, also Kohlenhydrate, zu sich nimmt. Viel Insulin befördert die Fetteinlagerung, weswegen heute von vielen Wissenschaftlern die kohlenhydratreichen Produkte deutlich mehr als Dickmacher bewertet werden als fetthaltige Erzeugnisse.3 Prominentes Beispiel dieser These ist die sogenannte PURE-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiology), bei der mehr als 135.000 Personen aus 18 Ländern im Durchschnitt über 7,5 Jahre beobachtet wurden.4 Hier wurde zudem festgestellt, dass ein höherer Konsum von Kohlenhydraten zu einer erhöhten Sterblichkeit führt, während mehr Fett das Gegenteil bewirkt.5
Unwidersprochen bleibt dieses Ergebnis jedoch nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) spricht vom sogar vom „PURE-Desaster“ und erkennt in der Studie methodische Mängel. Andererseits sieht sich die DGE mit ihren Ernährungsempfehlungen durch die Studienergebnisse durchaus bestätigt.6
Wie oft in der Ernährungsforschung tut man sich schwer, eine klare, allgemeingültige Erkenntnis ausfindig zu machen. Hier ist es wieder, das bekannte Problem der Ernährungsforschung, das schon in vorangegangenen Folgen dieser Serie angesprochen wurde: Beobachtungsstudien bringen keine sicheren Erkenntnisse über Ursachen. Darauf weist auch ein Kommentar der Universität Hohenheim hin.7 Dort wird auf die Schwächen der PURE-Studie verwiesen, weil wichtige Faktoren unberücksichtigt bleiben. Dieser Einwand mag berechtigt sein, allerdings gilt das auch für alle Studien, die Fett verteufeln.
Es ist in jedem Fall wichtig, auf die Zufuhr von Fetten in der Ernährung nicht zu verzichten, denn sie sind wichtiger und unersetzlicher Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Sie ermöglichen zum Beispiel die Aufnahme der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K. Bei einer fettarmen Diät kann es zu einem Mangel dieser Vitamine kommen.
Das Fazit:
Die schiere Vielzahl von Studien zum Thema Fett in der Ernährung machen es fast unmöglich, eine objektive Aussage zur treffen, zumal jeweils andere Forschungsergebnisse dargestellt werden. Für jede Blickrichtung, für jede Interessenslage und für jede Empfehlung gibt es die jeweils passende Studie. Der industrielle Hersteller von fettarmen LightProdukten wird ebenso eine Bestätigung finden wie der Produzent von Pflanzenmargarine oder der Anbieter von Käse der Vollfettstufe.
Als gesicherte Erkenntnisse kann man aber festhalten: Fette sind ein unverzichtbarer Teil einer gesunden Ernährung. Die Gefahr, dick zu werden, ist beim Essen von Fett nicht höher als beim Verzehr von Kohlehydraten. Es ist wie fast immer: Die Menge machts. Wer sich ausgewogen ernährt und auf ein gutes Verhältnis von Energieaufnahme und Energieverbrauch achtet, braucht sich um das Fett nicht sorgen.
Quellenverzeichnis:
- www.bfr.bund.de/de/adipositas-54476.html#:~:text=Die%20Adipositas%20des%20Menschen%20ist,gespeichert%2C%20wodurch%20das%20Körpergewicht%20ansteigt
- www.dlg.org/fileadmin/downloads/lebensmittel/themen/publikationen/expertenwissen/ernaehrung/2015_8_Expertenwissen_Fett_Saettigungspotenzial.pdf
- www.aerzteblatt.de/archiv/221597/Kontroverse-ueber-Nahrungsenergietraeger-Kalorien-versus-Kohlenhydrate
- www.thelancet.com/article/S0140-6736(17)32252-3/fulltext
- www.aerzteblatt.de/nachrichten/77869/Neue-Ernaehrungsregeln-Mehr-Fett-weniger-Kohlenhydrate-koenntenSterblichkeit-verringern
- www.dge.de/nachrichten/detail/das-pure-desaster/
- www.unihohenheim.de/fileadmin/user_upload/SNFS_Kommentar_PURE_Studie.pdf