ist der Tierschutz in Deutschland unzureichend?

Die Behauptung:

Nutztiere werden in Deutschland nicht gut gehalten. Der Anspruch, besser zu sein als andere, wird nicht erfüllt. Viele Skandale zeigen, wie besorgniserregend der Zustand der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung hierzulande ist.

Die Fakten:

Wenn man die Tierhaltung in Deutschland sachlich beurteilen will, muss man drei Themenfelder unterscheiden: Die gesetzlichen Vorschriften, Verstöße gegen diese Auflagen sowie die gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Diskussion darüber, ob die aktuellen Vorschriften ausreichend sind. Der Stand der Dinge lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  1. In Deutschland gibt es neben den einschlägigen europäischen Normen eine Vielzahl von Vorschriften, die sich mit der guten Behandlung von Tieren beschäftigen. Beispielhaft kann man für den Bereich Nutztiere nennen:
    • Tierschutzgesetz
    • Tierschutz-Transportverordnung
    • Tierschutz-Schlachtverordnung
    • Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
    Seit 2002 ist der Tierschutz zudem als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass es kein Regelungsdefizit gibt.
  2. Es gibt jedoch Kritiker, die vermerken, dass Deutschland hier gegenüber einigen anderen europäischen Ländern in Teilbereichen Nachholbedarf hat. Im Tierschutzindex der Organisation World Animal Protection1 , der häufig zitiert wird, rangiert Deutschland hinter Schweden, Österreich und Großbritannien. Dennoch ist die deutsche Rechtsetzung mit anderen als weltweit führend einzustufen.
  3. Aufgedeckte Skandale sind allesamt Gesetzesverstöße. Werden sie aufgedeckt, haben sie entsprechende Konsequenzen. Die rechtlichen Grundlagen sind also ausreichend.
  4. Kritisch zu sehen ist allerdings, dass offensichtlich zu wenig auf die Einhaltung der Vorschriften geachtet wird. Auf zwei Anfragen der Bundestagsfraktionen der Grünen und der FDP im Jahr 2018 antwortete die Bundesregierung, dass landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung in Deutschland im Durchschnitt nur etwa alle 17 Jahre kontrolliert werden. Tierhalter in Schleswig-Holstein bekamen rechnerisch nur alle 37,3 Jahre Besuch vom Amtstierarzt, solche in Bayern sogar nur alle 48,1 Jahre.2 So ist zu erklären, dass aufgedeckte Missstände zum Teil schon jahrelang andauerten.
  5. Festzustellen ist auch, dass die im Tierschutzrecht festgelegten Mindeststandards in manchen Teilen nicht mehr den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen. Abgestoßen von Skandalbildern und wegen einer verstärkten Beschäftigung mit der Materie wünschen sich viele eine bessere Tierhaltung. Auch Teile der Wissenschaft erachten die aktuellen gesetzlichen Standards als nicht ausreichend. 3
  6. Dennoch muss betont werden, dass die Haltung von Nutztieren in Deutschland in fast allen Betrieben einwandfrei ist und zu einem guten Teil schon jetzt über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegt. Gesetzesverstöße von schwarzen Schafen stehen im öffentlichen Fokus, die Realität in den Ställen sieht aber anders aus.


Das Fazit:

Trotz einiger kritischen Stimmen kann man feststellen, dass Deutschland eines der besten Tierschutzgesetze weltweit besitzt. Es ist eine Tatsache, dass in den allermeisten landwirtschaftlichen Betrieben die Tiere sehr gut und häufig mit weit höheren Standards als in den meisten anderen Ländern Europas gehalten werden.

Dabei sind zwei Einschränkungen zu machen: Einerseits gibt es deutliche Defizite in der Überwachung, die immer wieder zu Fällen führen, die die Gesamtheit der Tierhalter in Misskredit bringen, anderseits wünschen sich weite Teile der Gesellschaft Fortschritte in der Tierhaltung auf der Basis der schon jetzt guten Standards.

Der Deutsche Fleischer-Verband hat deshalb schon mehrfach gefordert, neue Regeln auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Begleitung und eines großen gesellschaftlichen Konsenses im Tierschutzgesetz festzulegen und europaweit verbindlich festzuschreiben. Diese Verbindlichkeit für alle Tiere ist deutlich besser als die jetzt vorgesehene Einführung einer verbindlichen Kennzeichnung unterschiedlich guter Haltungsformen. Eine gesetzliche Regelung ist unbürokratisch und vermeidet die aufwändige Umverteilung von finanziellen Mitteln. Der europäische Ansatz vermeidet zudem, dass Tierhaltung in Länder verlegt wird, in denen geringere Auflagen bestehen als bei uns.


Quellenverzeichnis:

1 https://api.worldanimalprotection.org/

2 Bundestagsdrucksache 19/3467 und Bundestagsdrucksache 19/3195

3 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltungKurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=2


Über den Autor:

Fleischermeister Dirk Ludwig aus Schlüchtern

Dirk Ludwig ist Fleischermeister und Experte für Fleischverdelung

Aufgewachsen ist Dirk Ludwig im osthessischen Luftkurort Schlüchtern(*1974), wo er schon früh die Leidenschaft für das Unternehmertum für sich entdeckte. Von der Bergwinkelstadt Schlüchtern ging es in den Vogelsberg zur Berufsausbildung als Fleischer nach Schlitz. Daran schloss sich die Ausbildung zum Fleischermeister und Betriebswirt des Handwerks an. Danach folgte in Nürnberg die Ausbildung zum REFA-Experten. Im Jahr 2016 gehörte Dirk Ludwig als Teilnehmer zum ersten Deutschen Lehrgang zum Fleischsommelier in Augsburg. Inzwischen lehrt Dirk Ludwig selbst an der Fachschule des Bayrischen Metzgerhandwerks in der Fuggerstadt.