Leben Vegetarier und Veganer gesünder und länger?

Die Behauptung:

Der Verzehr von Fleisch hat eine Vielzahl von negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes lassen sich vermeiden, wenn man auf Fleisch oder besser noch auf alle tierischen Lebensmittel verzichtet. Vegetarier und Veganer leben deshalb gesünder und länger.

Die Fakten:

Gerade im Bezug auf eine fleischlose Ernährung gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen und Ernährungsstudien. Auch hier gibt es wieder das bekannte Problem, dass sich viele Aussagen allein auf statistische Zusammenhänge beziehen, ohne aber fundierte Aussagen über die Ursachen dieser Zusammenhänge machen zu können. Aber der Reihe nach:

Der Mensch gehört zu den Allesfressern

Zunächst muss man festhalten, dass Menschen entwicklungsgeschichtlich zu den Allesfressern (Omnivore) gehören. Das heißt, der Körper ist im Prinzip darauf angewiesen, sowohl tierische als auch pflanzliche Lebensmittel zu sich zu nehmen, um alle notwendigen Nährstoffe zu erhalten. Zwar gibt es Völker, die sich ausschließlich mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs ernähren (zum Beispiel in arktischen Gebieten), und wiederum andere, deren Kost fast ausschließlich aus Pflanzen besteht, das ist jedoch menschheitsgeschichtlich eher die Ausnahme.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Um „gesund“ zu leben, benötigt der Mensch bestimmte Makronährstoffe (Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate) und Mikronährstoffe (Vitamine und Mineralstoffe). Besonders diejenigen Nährstoffe, die nicht im Körper selbst gebildet werden können, müssen über die Nahrung zugeführt werden. Und das geht erwiesenermaßen dann besonders gut, wenn die Mischung zwischen tierischen und pflanzlichen Produkten stimmt.

Jede einseitige Ernährung ist dagegen als eher nachteilig einzustufen. Wer nur noch Gemüse isst und gar kein tierisches Eiweiß mehr zu sich nimmt, dem fehlen bestimmte wichtige Aminosäuren. Wer aber zu viel tierisches Eiweiß zu sich nimmt und zu wenig Gemüse isst, läuft Gefahr, zu wenige Ballaststoffe und bestimmte Vitamine aufzunehmen. Prinzipiell gesund ist also eine ausgewogene Mischkost.

Fleisch liefert Unverzichtbares

Bevor man beurteilt, ob eine fleischlose Ernährung funktionieren kann, muss man sich verdeutlichen, welchen Beitrag Fleisch in der Ernährung leistet.

Fleisch liefert je nach Tierart nennenswerte Mengen an Eisen. Das im Fleisch enthaltene sogenannte Häm-Eisen wird im Gegensatz zu pflanzlichen Quellen gut aufgenommen. Hülsenfrüchte enthalten zum Beispiel relativ viel Eisen, der Körper kann es aber kaum verwerten. Fleisch ist aber nicht nur der effizienteste Lieferant für Eisen, sondern auch für Zink, Selen und für die Vitamine B1, B6, B12 und D3. Von besonderer Bedeutung sind zudem die n-3-Fettsäuren und vor allem auch Proteine zur Deckung des Bedarfes an essenziellen Aminosäuren.

Einen Teil der Nährstoffe des Fleischs kann durch andere Lebensmittel tierischen Ursprungs (Eier, Milchprodukte, Fisch) zugeführt werden. Der Ausgleich durch pflanzliche Lebensmittel ist dagegen deutlich schwieriger.



Gesundheitliche Folgen des Fleischverzichts

Tatsächlich wird in vielen Studien ein Zusammenhang zwischen dem Fleischkonsum und bestimmten Erkrankungen hergestellt, weil Vegetarier weniger häufig solche Erkrankungen erleiden. Vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind hier zu nennen. Allerdings: Keine der Studien gibt gesicherte Auskunft darüber, ob die Ursache dafür tatsächlich der Fleischkonsum ist. Es ist nämlich zu beobachten, dass Menschen, die sich für Fleischverzicht entscheiden, sehr oft ihre gesamte Lebensweise verändern: Sie treiben mehr Sport, sie rauchen weniger, sie reduzieren ihr Körpergewicht und sie trinken weniger Alkohol. Rauchen zum Beispiel gilt in Veganerkreisen als völlig inakzeptabel, weil die Zigarettenindustrie Tierversuche durchführen lässt.

Die Vermutung liegt also nahe, dass nicht der Fleischverzicht, sondern die Ausschaltung anderer Risikofaktoren zu einer Reduktion von bestimmten Erkrankungen führt.

Andererseits ist es zweifellos so, dass eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise durchaus auch Risiken mit sich bringt. Die vielleicht bedeutendste Gefahr ist die einer Mangelerkrankung, weil wichtige Bausteine der Ernährung, die gut über Fleisch oder andere tierische Erzeugnisse aufgenommen werden, fehlen.

Selbst die Organisation ProVeg, die aus dem Deutschen Vegetarierbund hervorgegangen ist, beschreibt auf ihrer Internet-Seite die Folgen eines Mangels an Vitamin B12 und das besonders erhöhte Risiko für Vegetarier und Veganer, einen solchen Mangel zu erleiden.1 Um solche Mangelerkrankungen zu vermeiden, empfiehlt ProVeg, angereicherte Lebensmittel zu essen oder auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzugreifen. Offensichtlich sind auch die Vegetarier-Organisationen selbst nicht überzeugt davon, dass vegetarische oder vegane Kost allein für eine vollwertige Ernährung ausreicht.

Auch die Gefahren eines Eiweißmangels werden gesehen. Es wird eingeräumt, dass die biologische Wertigkeit des tierischen Proteins wegen der besonderen Aminosäurezusammensetzung deutlich besser ist als die des pflanzlichen Eiweißes. Auch ist die Verdaulichkeit und damit die Aufnahme im Körper bei tierischen Eiweißen deutlich besser. Dem müsse damit begegnet werden, dass man einerseits darauf achtet, mehrere verschiedene pflanzliche Proteinquellen zu nutzen und andererseits die Pflanzen gut gegart oder gut zerkleinert (z. B. im Mixer oder durch intensives Kauen) zu verzehren. 2

In wissenschaftlichen Quellen wird eine vegetarische oder vegane Ernährung vor allem in Entwicklungsphasen sehr kritisch gesehen, also zum Beispiel im Kindes- oder Jugendlichenalter oder auch in der Schwangerschaft. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) betont in diesem Zusammenhang die große Gefahr von Mangelerkrankungen, die kaum durch Nahrungsergänzungen auszugleichen ist. Grundsätzlich, bezogen auf alle Altersgruppen, wird festgestellt, dass bisher nicht abschließend geklärt ist, ob mögliche positive gesundheitliche Effekte bei Vegetariern das Risiko von Nährstoffdefiziten überwiegen. Bezogen auf Kinder und Jugendliche kommt die DGKJ zusammenfassend zu folgendem Ergebnis: „Insgesamt setzt eine vegetarische Ernährung im Kindesalter einen hohen Informationsstand der Eltern und Jugendlichen voraus und erfordert die gezielte Betreuung durch den Kinder- und Jugendarzt, ggf. in Kooperation mit einer entsprechend geschulten Ernährungsfachkraft.“ 3

Eine Mangelerkrankung ist aber womöglich nicht die einzige Gefahr bei einer rein veganen oder vegetarischen Ernährung. Eine Langzeitstudie der Universität Oxford erforschte die gesundheitliche Entwicklung von Fleischessern und Vegetariern.4 Dabei zeigte sich, dass Fleischesser zwar etwas häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, Vegetarier jedoch ein um 20 % erhöhtes Risiko aufweisen, einen durch eine Hirnblutung ausgelösten Schlaganfall zu erleiden; und das, obwohl die Vegetarier in der Studie im Schnitt zehn Jahre jünger waren und weniger rauchten als die Fleischesser der Vergleichsgruppe.

Aber auch hier gilt: Ob das erhöhte Risiko einer Hirnblutung tatsächlich durch den Fleischverzicht verursacht wird (etwa durch einen Mangel an Vitamin B12), ist genauso wenig bewiesen wie die Behauptung, Fleisch verursache Herzkrankheiten. Man beobachtet in diesen Studien nur, Ursachenforschung ist das nicht.5

Das Fazit:

Nach allem, was man aus den Studien als gesicherte Erkenntnis ableiten kann, kann man feststellen, dass es durchaus möglich ist, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Automatisch gesünder, so wie es viele behaupten, ist diese Ernährungsweise jedoch nicht.

Sicher sagen kann man auch, dass es immer aufwändiger und anspruchsvoller wird, je mehr tierische Produkte in der Ernährung weggelassen werden. Vegetarische und mehr noch vegane Ernährung verlangt ein hohes Maß an Wissen, an Disziplin und im Regelfall auch einen ausgeklügelten Ernährungsplan. Zudem empfehlen sogar Vegetarier-Organisationen, die ausreichende Zufuhr bestimmter unverzichtbarer Nährstoffe über Nahrungsergänzungsmittel sicherzustellen. Ob eine Ernährungsweise, bei der man zusätzlich Pillen schlucken muss, sinnvoll ist, muss letztlich jeder für sich selbst beantworten.


Quellenverzeichnis:

  1. proveg.com/de/ernaehrung/naehrstoffe/vitamin-b12-mangel-vorbeugen/
  2. proveg.com/de/ernaehrung/naehrstoffe/eiweiss-proteinmangel-vegan-vorbeugen/ 
  3. www.dgkj.de/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/1808_DGKJ_VegetarischeKost.pdf
  4. British Medical Journal, September 2019
  5. Siehe auch Artikel in der Ärztezeitung vom 16.10.2019, www.aerztezeitung.de/Medizin/Vegetarier-haben-weniger-Infarkte-jedoch-mehr-Insulte-402475.html

Über den Autor:

Fleischermeister Dirk Ludwig aus Schlüchtern

Dirk Ludwig ist Fleischermeister und Experte für Fleischverdelung

Aufgewachsen ist Dirk Ludwig im osthessischen Luftkurort Schlüchtern(*1974), wo er schon früh die Leidenschaft für das Unternehmertum für sich entdeckte. Von der Bergwinkelstadt Schlüchtern ging es in den Vogelsberg zur Berufsausbildung als Fleischer nach Schlitz. Daran schloss sich die Ausbildung zum Fleischermeister und Betriebswirt des Handwerks an. Danach folgte in Nürnberg die Ausbildung zum REFA-Experten. Im Jahr 2016 gehörte Dirk Ludwig als Teilnehmer zum ersten Deutschen Lehrgang zum Fleischsommelier in Augsburg. Inzwischen lehrt Dirk Ludwig selbst an der Fachschule des Bayrischen Metzgerhandwerks in der Fuggerstadt.