Erhöht der Verzehr von Fleisch das Krebsrisiko?

Die Behauptung:

Eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hat 2015 für großes Aufsehen gesorgt.1 Forscher hatten dafür rund 800 Studien ausgewertet. Als Ergebnis haben sie verarbeitetes Fleisch als „krebserregend“ und unverarbeitetes rotes Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Nicht zuletzt wegen dieser Ergebnisse empfehlen weltweit viele Experten, viel weniger verarbeitetes oder rotes Fleisch zu essen. Die „Erkenntnis“, das Fleisch das Krebsrisiko erhöht, hat sich durch vielfache Verbreitung inzwischen als vorherrschendes Meinungsbild durchgesetzt.

Die Fakten:

Trotz der ständigen Wiederholung ist die Aussage, dass Fleisch Krebs auslöst, falsch oder zumindest durch nichts belegt. Inzwischen gibt es nämlich weitere umfassende Untersuchungen, die die IARC-Studie auf den Prüfstand gestellt haben und dabei zu ganz anderen Ergebnissen gekommen sind.

Eine internationale Gruppe von hochrangigen Wissenschaftlern hat sich Zusammengeschlossen, um fundierte Ernährungsempfehlungen zu erarbeiten und bestehende Empfehlungen zu hinterfragen. Der Name dieses Zusammenschlusses: NutriRECS.2 Insgesamt 14 Wissenschaftler aus sieben Ländern nahmen sich 2019 die vorhandenen Studien zum Thema Fleisch und Krebs erneut vor und überprüften deren Aussagekraft. Hieraus formulierten sie insgesamt sechs wissenschaftliche Arbeiten.3

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist eindeutig: Aus der vorliegenden Studienlage lässt sich kein Hinweis ableiten, dass Fleisch tatsächlich das Krebsrisiko erhöht, und schon gar nicht lassen sich daraus konkrete Ernährungsempfehlungen ableiten. Und das sind die wichtigsten Fakten:

  1. Die IARC hat sich allein auf Beobachtungsstufen bezogen. Dabei wird durch Befragungen im Nachhinein festgestellt, wieviel Fleisch die Studienteilnehmer in den letzten Jahren gegessen haben. Danach wird durch statistische Berechnungen versucht, Zusammenhänge mit Krankheiten zu finden. Eine Ursache-Wirkungs-Beziehung lässt sich damit aber nicht feststellen. Das sagt übrigens auch Dr. Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung.4
  2. Insgesamt fand sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und 13 verschiedenen Krebsarten, zu Diabetes oder zu Herzkrankheiten.
  3. Der Zusammenhang zwischen einem hohen Fleischkonsum und bestimmten Erkrankungen, der in Studien ausgewiesen wird, bedeutet nicht, dass die Krankheiten tatsächlich von Fleisch ausgelöst werden. Naheliegender ist die Annahme, dass dafür eine insgesamt ungesündere Lebensweise ursächlich ist.
  4. Wer auf Fleisch verzichtet, aber stattdessen viel Zucker und wenig Ballaststoffe isst, ernährt sich eher ungesünder, während ein hoher Fleischverzehr mit weniger raffinierten Kohlenhydraten und viel Gemüse und Vollkorn nicht automatisch ungesund ist.
  5. Allein die starke Reduzierung des Konsums von Fleisch oder gar der völlige Verzicht darauf hat keinen nachweisbaren Einfluss auf das Risiko, vorzeitig an Krebs zu sterben.


Das Fazit:

Nach der umfassenden Analyse von Studien, die die internationale Wissenschaftler-Gruppe vorgenommen hat, kann die Aussage, dass der Verzehr von rotem Fleisch das Risiko einer Krebserkrankung erhöht, nicht mehr gehalten werden. Richtig ist dagegen, dass es trotz tausender Studien keine gesicherten Erkenntnisse darüber gibt, inwieweit hier Zusammenhänge bestehen.

Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um einen ganz anderen Zusammenhang handelt: Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen ihre Ernährung umstellen und sich ausgewogener ernähren wollen, reduzieren dabei häufig den Fleischverzehr, weil sie der weit verbreiteten Aussage vertrauen, dass sich das gesundheitsfördernd auswirkt. Tatsächlich haben solche Ernährungsumstellungen eine positive Wirkung, das ist weitgehend unbestritten, allerdings eben nicht wegen des Fleischverzichts, sondern weil Ernährung und Lebensweise insgesamt verbessert werden. Der Fleischverzicht spielt also allenfalls eine untergeordnete Rolle, wird aber aus ideologischen Gründen in den Vordergrund geschoben. Aber auch diese Theorie ist nur eine Vermutung, auch sie lässt sich wegen der Schwächen der vorliegenden Studien nicht abschließend belegen.

Eine ausgewogene Ernährung mit Fleisch, so viel lassen die vorliegenden Erkenntnisse als Schlussfolgerung zu, ist gesundheitsförderlich und führt nicht zu einem erhöhten Krankheitsrisiko.


Quellenverzeichnis:

  1. Zusammenfassung der Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (in englischer Sprache): www.iarc.who.int/wp-content/uploads/2018/07/pr240_E.pdf
  2. www.nutrirecs.com
  3. Veröffentlicht im Fachmagazin „Annals of Internal Medicine“, 1. Oktober 2019
  4. Tagesspiegel 30. September 2019

Über den Autor:

Fleischermeister Dirk Ludwig aus Schlüchtern

Dirk Ludwig ist Fleischermeister und Experte für Fleischverdelung

Aufgewachsen ist Dirk Ludwig im osthessischen Luftkurort Schlüchtern(*1974), wo er schon früh die Leidenschaft für das Unternehmertum für sich entdeckte. Von der Bergwinkelstadt Schlüchtern ging es in den Vogelsberg zur Berufsausbildung als Fleischer nach Schlitz. Daran schloss sich die Ausbildung zum Fleischermeister und Betriebswirt des Handwerks an. Danach folgte in Nürnberg die Ausbildung zum REFA-Experten. Im Jahr 2016 gehörte Dirk Ludwig als Teilnehmer zum ersten Deutschen Lehrgang zum Fleischsommelier in Augsburg. Inzwischen lehrt Dirk Ludwig selbst an der Fachschule des Bayrischen Metzgerhandwerks in der Fuggerstadt.