Ist weniger Fleischkonsum ein Beitrag gegen Putin?

Die Behauptung:

Mitte März stellte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), in einem Interview mit dem SPIEGEL1 fest: „Weniger Fleisch zu essen wäre ein Beitrag gegen Herrn Putin.“ Er begründete das damit, dass 60 % des hierzulande produzierten Getreides in Futtertrögen landet, anstatt für Lebensmittel verwendet zu werden. Das sei, so Özdemir, nicht nachhaltig, nicht tragbar und funktioniere nicht im globalen Kontext einer drohenden Knappheit von Nahrungsmitteln in der Welt.

Die Fakten:

Der Zusammenhang zwischen unserem Fleischkonsum und dem Krieg in der Ukraine ist nicht nur konstruiert, sondern in höchstem Maße deplatziert. Der Getreideanbau und die Getreideverwendung ist ein komplexes Gemisch vieler Einflussfaktoren. Eine Verkürzung auf eine angeblich zu hohe Verfütterungsquote ist nicht seriös.

Es wird der Eindruck erweckt, dass das Futtergetreide die Abhängigkeit von Getreide aus Russland erhöht und damit Putin ein Druckmittel gegenüber der Weltgemeinschaft in die Hand gegeben wird. Dabei würden auch die Preise nach oben getrieben, was wiederum zu Einnahmen in Russland führt und damit den Krieg mitfinanziert. Gleichzeitig wird suggeriert, dass wir unsere Flächen beliebig zur Lebensmittelproduktion nutzen könnten.

Folgende Tatsachen werden dabei ausgeblendet:

  1. Der Getreidemarkt funktioniert über Ländergrenzen hinweg, innerhalb der EU, aber auch weltweit. Hintergrund dafür ist, dass verschiedene Getreidearten an verschiedenen Plätzen der Welt unterschiedlich gut gedeihen.
  2. Im Jahr 2021 hat Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 11 Millionen Tonnen Getreide in andere Länder verkauft – und rund 11,5 Millionen Tonnen Getreide eingeführt2. Insbesondere war es Netto-Exporteur von Weizen, während unterm Strich mehr Mais – ein Tierfutter – aus dem Ausland kam.
  3. Betrachtet man die Getreidearten im Einzelnen, wird deutlich, dass bei uns bisher nur Weichweizen und Gerste über Bedarf geerntet werden. 50 % bis über 60 % des in Deutschland verarbeiteten Hafers und Maises werden dagegen importiert. Grund ist nicht nur die zu geringe Ernte, sondern auch die Tatsache, dass die deutschenQualitäten für die Nahrungsmittelindustrie nicht ausreichend sind. Die Versorgung mit Hartweizen und Hartweizenerzeugnissen hängt zu etwa 90 % von Importen ab.3
  4. Die wichtigsten Zielländer für Weizen aus Russland und der Ukraine liegen hauptsächlich in Afrika und Asien. Das führende Abnehmerland war zuletzt jeweils Ägypten. Aus Russland bezog Ägypten im Jahr 2020 rund 8,3 Millionen Tonnen Weizen.4
  5. Auch Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zeigen, dass Deutschland als Handelspartner in diesem Bereich eine untergeordnete Rolle spielt. In einer Pressemitteilung des Ministeriums wird dargelegt, dass Russland für zehn Prozent und die Ukraine für weitere vier Prozent der globalen Weizenproduktion verantwortlich ist. Als Abnehmer sind auch hier primär die Länder in Nordafrika, die Türkei und Länder in Asien genannt.
  6. Zwischen Russland und Deutschland werden primär Rohstoffe, Fahrzeuge und Maschinen gehandelt. Deutschland importierte 2021 vor allem Erdöl und Erdgas im Wert von 19,4 Milliarden Euro – das war ein Zuwachs um 49,5 % und machte 59 % aller Einfuhren aus Russland aus. Außerdem lieferte Russland vor allem Metalle (4,5 Milliarden Euro, +72,1 % gegenüber 2020), Mineralöl- und Kokerei-Erzeugnisse (2,8 Milliarden Euro, +23,0 %) sowie Kohle (2,2 Milliarden Euro, +153,0 %) nach Deutschland.5 Der Import von Getreide aus Russland spielte dagegen eine untergeordnete Rolle.6
  7. Problematisch sind insbesondere die Verknappung und der starke Preisanstieg auf den Weltmärkten für Getreide. Hierfür ist in der Tat der Wegfall der russischen und ukrainischen Lieferungen ein Teil des Problems. Mindestens ebenso gravierend sind die enormen Preissteigerungen für Düngemittel, die ebenfalls auf den Krieg zurückzuführen sind und weltweite Auswirkungen auf den Getreideanbau zeigen.7 Es wird befürchtet, dass die Verknappung und deutliche Verteuerung der Dünger auch zu einer Veränderung der Qualitäten der erzeugten Getreide führen wird.
  8. Weizen muss bestimmte Eigenschaften haben, um überhaupt als Nahrungsweizen Verwendung zu finden. Dazu gehören der Eiweißgehalt, die Backeigenschaften und einiges mehr. Was auf welchen Böden angebaut werden kann, ist nicht beliebig änderbar. Die Bodenqualität und die Notwendigkeiten der Fruchtfolgen spielen hier eine ebenso große Rolle wie eine speziell auf diese Eigenschaften abgestimmte Düngung, die nun gefährdet ist.8 Deutschland wird deshalb keinen entscheidenden Beitrag zur Versorgung anderer Länder mit Getreide leisten können, ganz unabhängig von der Erzeugung von Tierfutter.
  9. Im genannten SPIEGEL-Interview1 betont Minister Özdemir an anderer Stelle die Notwendigkeit, den hohen Futtermittelpreisen entgegenzuwirken, um Tierhalter zu entlasten. Hierzu sollen vorübergehend auch ökologische Vorrangflächen für den Futtermittelanbau freigegeben und die Eiweißpflanzenstrategie ausgebaut werden. Der Minister selbst verweist also auf das Erfordernis, Futterpflanzen anzubauen und stellt dafür auch das Ziel des ökologischen Umbaus der Landwirtschaft zurück.


Das Fazit:

Der Getreidemarkt in Deutschland und vor allem auch der Weltmarkt sind extrem vielschichtig. Bei uns sind sieben Getreidearten von Bedeutung, zu denen es jeweils noch verschiedene Unterarten und von diesen wiederum abgestufte Qualitäten gibt. Allein schon diese Komplexität verbietet einfache, schlaglichtartige Feststellungen.

Es ist richtig, dass in Deutschland erhebliche Mengen Getreide verfüttert werden. Allerdings handelt es sich dabei zu einem guten Teil um Getreide, das nicht oder nur eingeschränkt für die Lebensmittelproduktion geeignet ist, weil es den dafür notwendigen Qualitätsanforderungen nicht entspricht. Die nötigen Qualitäten lassen sich nicht überall problemlos produzieren, weswegen ein internationaler Austausch sinnvoll und notwendig ist.

In diesem Kontext darf auch nicht übersehen werden, dass Getreide nicht nur als Tierfutter, sondern auch zur Energiegewinnung eingesetzt wird. Diese Verwendung, die ausdrücklich politisch gewollt ist, ist ebenso wie die Verfütterung vertretbar, denn es werden auch hier überwiegend Getreide eingesetzt, die sich schlecht für die Lebensmittelproduktion eignen oder die zusätzlich im Rahmen einer Fruchtfolgenoptimierung angebaut werden.

Wie die dargelegten Fakten eindeutig belegen, finanziert sich der Krieg Putins definitiv nicht aus Getreideexporten, sondern aus anderen Quellen, vor allem aus Einnahmen aus dem Energiesektor. Diese Tatsache wurde unter anderem durch politische Entscheidungen verursacht, die die jetzigen Regierungsparteien gefordert oder mitverantwortet haben. Eine absurde Ablenkungsdebatte rund ums Fleisch hilft weder den Menschen in der Ukraine noch den Hungernden der Welt.

Einen Zusammenhang herzustellen zwischen einem verbrecherischen Angriffskrieg und dem Konsum von Fleisch in Deutschland ist deshalb skandalös und mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen.


Quellenverzeichnis:

  1. Der Spiegel Nr. 12 vom 19.03.2022
  2. de.statista.com/statistik/daten/studie/1240374/umfrage/importmenge-von-getreide-nach-deutschland
  3. www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Daten-Berichte/Getreide_Getreideerzeugnisse/2021BerichtGetreide.pdf?__blob=publicationFile&v=1
  4. de.statista.com/statistik/daten/studie/1293852/umfrage/groesste-weizenexporteure-weltweit-marktanteil/#:~:text=Wohin%20wird%20russischer%20und%20ukrainischer,8%2C3%20Millionen%20Tonnen%20Weizen
  5. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/02/PD22_N010_51.html
  6. de.statista.com/statistik/daten/studie/1293852/umfrage/groesste-weizenexporteure-weltweit-marktanteil/
  7. www.agrarheute.com/markt/duengemittel/mineralduenger-luxusartikel-bauern-voll-risiko-591667
  8. www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/hat-deutschland-genug-getreide-um-versorgen-fakten-591301

Über den Autor:

Fleischermeister Dirk Ludwig aus Schlüchtern

Dirk Ludwig ist Fleischermeister und Experte für Fleischverdelung

Aufgewachsen ist Dirk Ludwig im osthessischen Luftkurort Schlüchtern(*1974), wo er schon früh die Leidenschaft für das Unternehmertum für sich entdeckte. Von der Bergwinkelstadt Schlüchtern ging es in den Vogelsberg zur Berufsausbildung als Fleischer nach Schlitz. Daran schloss sich die Ausbildung zum Fleischermeister und Betriebswirt des Handwerks an. Danach folgte in Nürnberg die Ausbildung zum REFA-Experten. Im Jahr 2016 gehörte Dirk Ludwig als Teilnehmer zum ersten Deutschen Lehrgang zum Fleischsommelier in Augsburg. Inzwischen lehrt Dirk Ludwig selbst an der Fachschule des Bayrischen Metzgerhandwerks in der Fuggerstadt.